Vorab die ganz klare Antwort: Nein. Unsere Figuren müssen erst einmal gar nichts. Aber sie dürfen.
Wir erschaffen Welten. Menschen. Risse. Und Emotionen.
Manchmal entstehen sie aus reiner Fantasie – manchmal vermischen wir Erlebtes mit Fiktion.
Und wenn wir dann einen Text zum zehnten Mal überarbeiten, ihn wieder und wieder lesen oder ganz leise und heimlich löschen, erwischen wir uns manchmal dabei, wie sich die Tränen in unsere Augen schleichen.
Und das ist in Ordnung.
Unsere Figuren spiegeln etwas von uns – etwas, das wir erlebt haben, vermissen, lieben, vielleicht aber auch verabscheuen.
Wir erschaffen sie aus unserer Seele und bluten sie aufs Papier.
Und das darfst du fühlen. Du darfst nicht nur – du solltest.
Aber dann sind da auch diese anderen Figuren. Die, die vielleicht gar nichts in dir auslösen. Die nur dazu dienen, anderen Charakteren zu begegnen, einen Plot aufzudecken, eine Frage zu stellen. Oder einfach mit einem kurzen Augenzwinkern die Stimmung aufzulockern.
Und auch sie haben ihre Berechtigung. Auch sie sind wichtig.
Nicht jede Figur muss tiefe Emotionen in sich tragen, manche dürfen einfach nur da sein.
Wenn du dir also das nächste Mal die Frage stellst, ob du beim Schreiben tief fühlen darfst, dann erinnere dich: Ich habe geweint. Jedes Mal, wenn ich über Emilia und Gabriel in “Wenn Apfelbäume sterben” geschrieben habe. Jedes Mal, wenn ich Schlüsselmomente mit anderen geteilt habe. Und jedes Mal, wenn ich die Zeilen still und nur mit mir selbst erneut gelesen habe.
Und wenn du merkst, dass eine Figur nichts in dir auslöst, dann verurteile weder dich noch diesen Charakter. Vielleicht wird sie nicht die Welt erobern. Aber manchmal sind das genau die Figuren, die gelesen werden wollen.

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